Samstag, 16. Juli 2011

führen wir solche Diskussionen, solange sie hier noch möglich sind!

führen wir solche Diskussionen, solange sie hier noch möglich sind! Auf Facebook sind sie es nicht mehr, auf Twitter waren sie es nie.

Originally shared by Sascha Lobo

BNF

Schon vor einiger Zeit ist mir in vielen Diskussionen etwas aufgefallen, was ich in den zwei, drei Diskussionen der letzten Tage verstärkt wiederfinde. Flugs habe ich mir für dieses Diskussionsphänomen einen Namen ausgedacht, obwohl es mit Sicherheit schon umfangreiche psychologische/soziologische Studien dazu gibt und bestimmt auch einen wissenschaftlichen Namen:

BNF – eine Abkürzung für Bei Nichtgefallen Falsch.

Eine Vielzahl von Argumenten und/oder Scheinargumenten in Diskussionen beruht darauf, dass nicht zwischen "gefällt mir" und "ist richtig" unterschieden wird. Liest sich so aufgeschrieben trivial und statingtheobviousesque, hat aber in meinen Augen aufschreibenswerte Begleiterscheinungen.

Es beginnt damit, dass das soziale Netz diese Betrachtung stark begünstigt. Simples, aber starkes Beispiel: der inzwischen auf über 2 Millionen Websites eingebaute Like-Button unternimmt erst gar nicht der Versuch der Unterscheidung zwischen "gefällt mir" und "ist richtig". Das bildet zwar das normal-impulsive, emotionale Leben ab – aber nicht echte Diskussionen oder auch nur sachorientierte Dialoge.

Ich habe mir die Diskussion unter meinem gestrigen, etwas simplistischen und teilweise tautologischen Text zur Klarnamendiskussion näher angesehen.

Die meisten ausgetauschten Argumente bauen offensichtlich eine Schutzhülle aus vermeintlichem "ist richtig" um einen emotionalen Kern aus "gefällt mir".

Zur Überprüfung: die Kombination aus "ist richtig" und "gefällt mir nicht" (die es rein logisch schon irgendwie geben sollte) ist nur marginal vorhanden: mit viel gutem Willen in fünf Beiträgen von fast 250, immer nur als vage Andeutung.

Die Kombination "gefällt mir" und "ist falsch" kommt gar nicht vor. (Nur der Vollständigkeit halber kommt natürlich "gefällt mir nicht" und "ist falsch" wieder extrem oft vor, wenig überraschend zur Beschreibung der Argumente der Gegenseite nämlich.)

Wenn man aber faktisch gar nicht mehr unterscheidet zwischen dem, was man gut findet und dem, was richtig ist, führt man gar keine (zielführende oder zumindest gedankenanregende) Diskussion mehr, sondern einen Geschmacksstreit, der einen eventuell zugrundeliegenden Austausch von Sachargumenten und das Ringen um eine sinnvolle Position völlig überlagert.

Ich möchte deshalb ein Axiom aufstellen, das BNF-Axiom:

Lässt sich ein Argument auf "Bei Nichtgefallen Falsch" zurückführen, dann ist es praktisch wertlos für eine Diskussion.
Direkter ausgedrückt: "Was mir nicht gefällt, ist falsch" verhindert Diskussionen. Lustig kann es natürlich trotzdem sein und ein ordentlicher Streit braucht keine Argumente, sondern Munition, und dafür taugt es natürlich auch.

Die ärgerliche Konsquenz aus "Was mir nicht gefällt, ist falsch" ist das sich daran anschließende "Was mir nicht gefällt, muss falsch sein". Das erste ist eine Feststellung von Bekanntem. Das zweite wird zur Bewertung von bisher Unbekanntem herangezogen.
Man lebt also selbst gefährlich mit dem Trugschluss, nicht zwischen "gefällt mir" und "ist richtig" zu unterscheiden, denn man benutzt das allererste und damit oft oberflächliche Sympathie- oder Unsympathie-Gefühl, um sich anschliessend "objektive" Fakten zu suchen, damit das Erstgefühl sich stützen lässt (ein Phänomen übrigens, das ich selbst öfter in Bezug auf Frisurenfragen an bzw. mit mir beobachten konnte und das auch alles andere als neu ist, alle bekannten, längst benannten Zusammenhänge bitte in den Kommentaren posten, danke).

Vielleicht sollten wir – ich natürlich eingeschlossen, denn dagegen scheint niemand immun – als Training damit beginnen, Dinge und Sachverhalte zu identifizieren, die uns gefallen, aber falsch sind und umgekehrt auch solche, die richtig sind, aber uns nicht gefallen.

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